Der höchste Berg der USA, außerhalb Alaskas, befindet sich nicht, wie man glauben möchte, in den Rocky Mountains, sondern in der östlichen Sierra Nevada im Sequoia / Kings Canyon Nationalpark.
Die über 5.000 km lange und 100 km breite Gebirgskette umfasst neben dem Mount Whitney noch weitere Viertausender. Berühmte Nationalparks schützen zumindest die schönsten Gebirgsteile wie Yosemite und Kings Canyon und die riesigen Mammutbäume, deren Dimensionen man beim Anschauen von Bildern nur erahnen kann.
Will man als Bergwanderer den Mount Whitney besteigen, so bietet sich als Ausgangspunkt die Ortschaft Lone Pine an. Wir erreichen diese im September 1992, aus dem Death Vallay kommend, an einem Montagnachmittag. Nach den Verhandlungen mit dem National Forest Service erhielten wir eine Aufstiegsgenehmigung = Permit mit der Option, noch am selben Tag loszulaufen, denn ab Dienstag waren alle Permits bereits vorbestellt. Bevor man letztendlich ins Gebirge gelassen wird, muss man sich noch ein Video über Verhaltensweisen im Bärengebiet und Tipps zum Aufstieg und Wetter ansehen.
Der letzte Parkplatz befindet sich am Whitney Portal in ca. 2.000 m Höhe. Beim Packen der Rucksäcke krämpelten wir, wie schon so oft in diesem Urlaub, das Unterste im Auto nach oben und umgekehrt. Gegen 16 Uhr wankten wir los, arg gedrückt von viel zu schweren Rucksäcken, und stiegen noch 1.000 m zum „Outpost Camp“ auf. Dort kochten wir noch etwas und verkrochen uns dann vor der zunehmenden Kälte in die Schlafsäcke.
Der nächste Morgen präsentierte einen superklaren, blauen, kalifornischen Himmel und Temperaturen um 0°C, die uns nach 2 Wochen Wüstenurlaub wie tiefster Winter erschienen. Mit der Kaffeetasse in den eiskalten Händen warteten wir auf die Sonne, die uns die nötige Energie zum Einräumen und Loslaufen geben sollte. Nach 4 Stunden gemächlichen Steigens erreichten wir das nächste Biwak in 3.720 m Höhe. Es war herrlich auf Granitterassen über dem Consultation Lake gelegen. Da die Sonne warm schien, leisteten wir uns einen faulen Nachmittag und bauten unser Lager vorbildlich auf, beschwerten unser Zelt mit Steinen und setzen eine Mauer als Windschutz. Vorahnung? Die nachmittäglichen Windstöße sollten sich des Nachts zu Sturmböen entwickeln, die unser Zelt hin und her rissen.
Am nächsten Morgen beleuchtete die Sonne wolkenverhangene Berge. Gegen 9 Uhr brachen wir auf und sahen von manch anderem Zelt nur bunte Nylonfetzen an der Stange flattern. Nach drei Stunden Aufstieg auf fast schnee- und eisfreiem Weg, erreichten wir mittags den Gipfel – 4.418 m – unseren ersten Viertausender! Der böige Wind trieb Schnee- und Graupelschauer vom Pazifik heran. Für eine beschauliche Gipfelrast war das Wetter zu miserabel. Wie ein Wunder erschien uns ein bärtiger Läufer in kurzer Hose und T-Shirt, der offenbar mühelos, in fast 4.500 m Höhe, den Berg heraufgetrabt kam, oben auf die Uhr sah und bemerkte, dass er vom Whitney Portal bis zum Gipfel diesmal 10 min länger gebraucht hätte.
Nach einer halben Stunde begannen wir den Abstieg, bekleidet mit Anorak, Mütze und Handschuhen. In der folgenden Nacht nahm der Wind an Stärke noch einmal zu. Man hörte förmlich die Böen vom Gebirgskamm herunterheulen und sah dann, wie das Zelt platt gedrückt wurde. Gegen 3 Uhr morgens flaute der Wind ab und wir konnten wieder an schlafen denken. Irgendwann weckte uns dann die Sonne. Über dem Death Valley verflogen die letzten Wolkenbänke in der aufsteigenden Wärme. Unser Zelt hatte, dank aufgelegter Steine und offenbar recht solider Verarbeitung, beide Sturmnächte schadlos überstanden.
Während unserer ganzen Tour benutzen wir Teleskopstöcke und ernteten ungläubiges Staunen und neugierige Fragen. Besonders beim Abstieg begegneten wir vielen „Stocklosen“ Wanderern. Im Grand Canyon wurden wir sogar mal gefragt, ob wir zu schwach wären, ohne Stöcke zu gehen.
Wieder am Auto angekommen, fielen wir über die Versorgungsvorräte her und genossen ein verspätetes Gipfelbier.